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Die Tochter der illegalen Pfarrerin erinnert sich

Elsbeth Schmid aus Pfyn ist die Tochter von Greti Caprez-Rofler, der ersten gewählten Pfarrerin in der Schweiz vor 90 Jahren. Die im Thurgau wohnhafte Bündnerin erzählt wie sie ihre Mutter erlebt hat. Schmid hat ihre Nichte bei der Recherchearbeit für das Buch „Die illegale Pfarrerin“ und die gleichnamige Ausstellung über Greti Caprez-Rofler (1906 – 1994) unterstützt.

Es regnet. Die 87-jährige Elsbeth Schmid zeigt hinunter auf die Kirche und das Dorf Pfyn, in dem sie seit über 60 Jahren zuhause ist. Sie war eine der ersten wenigen Frauen im Kanton, die hier nach Einführung des Frauenwahlrechts in ein Führungsamt gewählt wurde, erst in die KiVo der Evangelischen Kirchgemeinde Pfyn, später war sie 12 Jahre Präsidentin. Die ausgebildete Krankenschwester kümmerte sich um ihre sechsköpfige Familie und führte zusammen mit ihrem Mann eine Tierarztpraxis.  

Eltern gaben Geborgenheit
Dass die Fähigkeit, Führungsverantwortung in Familie, Beruf und Gesellschaft zu tragen geschlechtsunabhängig ist, ist Elsbeth Schmid von Kindesbeinen an vertraut. Und auch, dass die Mehrfachbelastung nur im partnerschaftlichen Miteinander von Mann und Frau gemeistert werden kann. Elsbeth Schmid ist als zweites von sechs Kindern in Graubünden im Pfarrhaus aufgewachsen. Ihre Mutter war Greti Caprez-Rofler, die erste gewählte Pfarrerin in der Schweiz. Ihr Vater Gian Caprez-Rofler war Ingenieur und wurde durch seine Frau zum Zweitstudium Theologie inspiriert und trat ins Pfarramt ein. „Ich erinnere mich an das Mami, das mit uns spielte, viel vorlas und Geschichten erzählte. Mami war streng, aber sie und Ätti waren auch stets ein Ort der Geborgenheit für mich.“ Dass ihre 1906 geborene Mutter eine Vorreiterrolle für die Gleichberechtigung von Mann und Frau einnahm und mit welchen Widerständen sie zu kämpfen hatte, wurde Elsbeth Schmid erst viel später bewusst.

Durfte Enkel nicht taufen
In Konfrontation zum damaligen Gesetz, wählte das Bündner Bergdorf Furna die 25 jährige Theologin und Mutter Greti Caprez-Rofler im Jahr 1931 zu „ihrem Pfarrer“, die Prättigauer trotzten damit den Weisungen und Druckversuchen des Kirchenrats. Drei Jahre betreute die illegale Pfarrerin allein die abgelegene Kirchgemeinde, den Ehemann sah sie nur am Wochenende. Später wurde sie Spital-und Gefängnisseelsorgerin in Chur. Erst 32 Jahre nach ihrer Wahl in Furna, wurde die Theologin mit dem bereits reich gefüllten Erfahrungsrucksack aus Pfarramt, Seelsorge und Gemeindearbeit ordiniert. Das war 1963 durch die Zürcher Landeskirche im Grossmünster - zusammen mit elf weiteren Theologinnen. In ihrer Wohngemeinde Kilchberg durfte sie trotzdem nicht predigen. Der Pfarrkollege ihres Mannes war dagegen. Die Pfarrerin durfte zwar Vorträge im Frauen- und Mütterverein halten, im Übrigen sollte sie sich auf die Rolle als Pfarrfrau beschränken. Elsbeth Schmid: „Es war kurios: Rund um Kilchberg hat meine Mutter vollwertige Pfarrstellvertretungen übernommen, nur in der eigenen Gemeinde war ihr die Kanzel versagt.“ Auch ihren ersten Enkel durfte sie in Pfyn als Frau nicht taufen. „Wir waren zu früh, ein Jahr später wäre das im Thurgau möglich gewesen“, bedauert Elsbeth Schmid.

Feministin mit Fragezeichen
Mit der Aktion «Helvetia predigt!» rufen kirchliche Frauenorganisationen 50 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts dazu auf, dass Frauen am 1. August 2021 die Sonntagspredigt halten sollen. Wie hätte wohl Greti Caprez-Roffler 90 Jahre nach ihrer trotzigen Wahl ins Pfarramt darauf reagiert? „Mit ihrer geradlinigen, herausforderungsvollen Persönlichkeit, hat sich meine Mutter nicht für ihre Rechte, sondern stets für die Sache eingesetzt. Vielleicht wäre ihr die plakative, oft abgrenzende Art im Kampf für Frauenrechte suspekt, denn sie hat sich immer für ein Miteinander der Geschlechter stark gemacht.“

Werthaltung weitergeben
Kraft, dies alles durchzustehen, bezog Greti Caprez-Rofler aus ihrem christlichen Glauben und ihrer Liebe zu ihrem „Ehekamerad“ Gian. Ihr partnerschaftliches Verhältnis, das das Ehepaar pflegte, konnten die beiden beruflich auch noch im gemeinsamen Pfarramt im Rheinwald im Jobsharing leben. Was Elsbeth Schmid von ihrer Mutter mitgenommen hat, ist eine positive Grundhaltung und die Begabung vieles parallel zu bewältigen. „Als ich Mami für all das, was sie für mich war, danken wollte, winkte sie ab: ‚Du brauchst mir nicht zu danken, gib das alles deinen Kindern weiter‘“, erzählt Elsbeth Schmid.

Brunhilde Bergmann

Buch und Ausstellung über Greti Caprez-Rofler „Die illegale Pfarrerin“

Ihr Lebensende vor Augen, ordnete Greti Caprez-Rofler ihren Nachlass. Auf die Schachtel mit ihren Tagebüchern und anderen Zeitdokumenten schrieb sie: „Für eine eventuelle Theologin unter meinen Enkelinnen und Enkeln“. Ihre Enkelin Christina Caprez, Journalistin und Soziologin, bereitete das Vermächtnis für die Öffentlichkeit auf. Sie verfasste das Buch und Hörbuch „Die illegale Pfarrerin“ und gestaltete die gleichnamige Wanderausstellung als Hörinstallation für Kirchenräume. Elsbeth Schmid half ihrer Nichte beim Entziffern von Briefen und stenografischen Notizen. Sie ist begeistert: „Die Ausstellung hat Christina sensationell umgesetzt und in verschiedene Lebensabschnitte meiner Mutter gegliedert: von Sao Paolo über Furna bis in ihre Zeit im Rheinwald. Meine Mutter ist sogar auf Originalton-Dokumenten zu hören. Jugendliche, Ältere, Frauen und Männer werden von der kurzweiligen Ausstellung profitieren.“ Die Ausstellung wird im März 2022 im Kirchenzentrum Kradolf zu sehen sein. brb.

Elsbeth Schmid-Caprez in ihren Garten in Pfyn: „Meine Mutter ist 32 Jahre im Regen bei Gegenwind gestanden, bis sie zur Pfarrerin ordiniert wurde.“

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