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Vertrauen oder Kontrolle?

Bringt die Konzernverantwortungsinitiative besseren Schutz für Mensch und Umwelt oder vernichtet sie Arbeitsplätze? Die Meinungen im hochkarätig besetzten Podium gingen auseinander. Eingeladen hatte die Evangelische Landeskirche.

Mit der Diskussion zur Konzernverantwortungsinitiative KoVI in der Zeit der ökumenischen Kampagne von Brot für alle und Fastenopfer, lud die Evangelische Landeskirche im Thurgau zur Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs ins Frauenfelder Begegnungszentrum VIVA ein. Ganz im Sinn von Jeanne Pestalozzi-Racine, der Präsidentin des Stiftungsrates von „Brot für alle“: „Kirchliches Sprechen und Handeln richtet sich immer auch an eine Öffentlichkeit und hat unweigerlich eine politische Komponente, wenn es um Schöpfung, Menschenrechte und Menschenwürde geht.“ Die rund 100 Zuhörenden profitierten von der offen, fairen Meinungsbildung und stellten Fragen.


Gleiches Ziel - unterschiedliche Wege
Die Veranstaltung mit Blick auf die Nord-Süd Problematik stellte Fragen zur Unternehmensverantwortung im handelspolitischen Zusammenhang. Die KoVi will für Unternehmen mit Sitz in der Schweiz, verbindliche Regeln zur Einhaltung von international anerkannten Menschenrechten und Umweltstandards. Sie fordert einen Haftungsmechanismus zum Schutz der Opfer, auch bei Auslandstätigkeiten und sieht dazu die Einführung einer Sorgfaltsprüfungspflicht vor. Wirtschaftsjournalistin Susanne Giger moderierte die Diskussion. Zu Beginn hielt sie fest, dass Befürworter und Gegner der Konzernverantwortungsinitiative das gleiche Ziel verfolgen: Wirtschaftsunternehmen sollen durch ihre Tätigkeit Mensch und Umwelt nicht „ausbeuten“, sie sollen die international anerkannten Menschenrechte und Umweltstandards respektieren. Geteilt waren in der Diskussion die Meinungen, ob dieses Ziel mit der Initiative, insbesondere dem Nachweis der Sorgfaltspflicht, erreicht werden könnte.

Dreifachbeweis der Opfer
Mit der Einführung einer Sorgfaltsprüfungspflicht soll einen Haftungsmechanismus ausgelöst werden, der den Opfern bei Pflichtverletzung Schutz gewährt. Der St. Galler Wirtschaftsprofessor und Mitinitiant der KoVI Florian Wettstein sieht in diesem Instrument eine Erhöhung der Rechtssicherheit für Opfer und für Wirtschaftsunternehmen: Er widerspricht der Auffassung von Automatismus. Erst müssen die Opfer den Dreifachbeweis erbringen, dass eine Rechtsverletzung vorliegt; ein Kausalzusammenhang besteht und ein Schweizer Unternehmen -oder von ihm kontrollierter Betrieb- involviert ist. Erst dann käme die Umkehr der Beweislast zum Zug. „Unternehmen sind von der Haftung befreit, wenn sie die Sorgfaltspflicht darlegen können. So sorgt die Initiative für Rechtssicherheit bei allen Beteiligten“ . Wettstein versuchte auch die Befürchtungen der Gegner vor einer «ausufernden Bürokratie» zu zerstreuen. KMU seien grundsätzlich von der Initiative ausgenommen. Nur, wenn sie in einem Risikosektor, wie beispielsweise dem Rohstoffhandel tätig seien, gelte die Sorgfaltsprüfungspflicht. Es sei zwischen der «Haftung» im engeren Sinn für den eigenen Betrieb und für die von Schweizer Unternehmen kontrollierten Zulieferer im Ausland und der Erfüllung der allgemeinen «Sorgfaltspflicht» zu unterscheiden. Zudem müsse das Risiko für einen Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen abgeschätzt werden. Nicht alle Länder und Geschäftsfelder seien dabei gleich exponiert. In den USA, wo Klagen aufgrund der Verletzung von Menschenrechten durch die Tätigkeit von Wirtschaftsunternehmen seit 20 Jahren möglich seien, hätte es 150 Fälle gegeben, von denen drei Viertel «verpufft» seien. An der Umkehrung der Beweislast stören sich die Gegner besonders.

Gefahr eines Eigengoals
„Überwachungs- und Kontrollpflicht wäre der passendere Ausdruck als Sorgfaltsprüfungspflicht“, distanzierte sich Denise Laufer, Mitglied der Geschäftsleitung von SwissHoldings, dem Verband der Industrie- und Dienstleistungskonzerne in der Schweiz. Sie geht davon aus, dass die Schweizer Industrie bei einer Annahme der KoVI für ihre 400'000 Zulieferer aus dem Ausland den Nachweis erbringen müsste, dass die Sorgfaltspflicht erfüllt sei. Die geforderte lückenlose Erfüllung der Sorgfaltspflicht könne sich im Hochrisikobereich – etwa in den Entwicklungsländern und im Rohstoffhandel – zu einem «Eigengoal» entwickeln, indem sich etwa Schweizer und US-Unternehmen aus den heiklen Bereichen in gewissen Ländern zurückziehen würden und die Lücke dann durch chinesische Unternehmen gefüllt werde. «Es gibt bessere Instrumente», ist sie ist überzeugt. Als Beispiel nennt sie eigenverantwortliche und von der Wirtschaft selbst entwickelte Instrumente zur Konfliktlösung, wie die Nationalen Kontrollpunkte. Diese Schlichtungsstellen bemühen sich mit systemorientiertem Ansatz, indem sie die jeweilige Situation vor Ort analysieren um die Sorgfalt im Umgang mit Menschenrechten und Umweltschonung zu fördern. Als positives Beispiel erwähnte Laufer den Nestlé-Konzern, der eigene Prozesse entwickelt habe, mit denen er seine Zulieferer in Bezug auf Menschenrechte und Umweltverträglichkeit in die Pflicht nehme.
Wettstein anerkannte die Leistung der Mediationsstellen, doch relativierte er: „In den meisten Fällen haben die beklagte Unternehmen unter dem Druck einer Klage zusätzliche Anstrengungen bei der Wahrnehmung ihrer Sorgfaltspflicht im Zusammenhang mit der Einhaltung der Menschenrechte unternommen.“

Öffentlicher Druck bewirkt mehr
Der Thurgauer Volkswirtschaftsdirektor Walter Schönholzer plädiert statt juristischem Druck für sozialen Druck. Er stört sich vor allem an der Umkehr der Beweislast: „Das belastet all jene, die sich an die Regeln halten und löst eine Lawine an Bürokratie aus“. Er wehrt sich gegen ein generelles Misstrauen: „Jedes Unternehmen ist angewiesen auf Zusammenarbeit, die von gegenseitigem Vertrauen geprägt ist." Schönholzer zeigte sich überzeugt, dass die Unternehmen sich viel eher von möglichen «negativen Schlagzeilen» und dem Druck der Öffentlichkeit beeindrucken liessen. Dabei hätten die kirchlichen Hilfswerke als Mahner im konkreten Fall eine wichtige Funktion: „Der öffentliche Druck kann mehr bewirken als eine Ausweitung unseres Schweizer Rechtssystems auf andere Länder. Die Angst vor Reputationsverlust ist das stärkere Argument.“

Bewusstsein im Süden – Umdenken im Norden
Dankbar nahm Jeanne Pestalozzi-Racine den Ball auf, den ihr Schönholzer zugespielt hatte. Sie stellte klar, dass Schweizer Recht nur dort in anderen Ländern angewendet würde, wenn es um die Geschäftstätigkeit von Schweizer Firmen gehen würde. Als Stiftungsratspräsidentin von «Brot für alle» wünscht sich Pestalozzi, dass die Menschen in den Entwicklungsländern darin gestärkt werden, wenn sie Verantwortung für Menschenrechte und Umwelt wahrnehmen wollen. Mit der Konzernverantwortungsinitiative werde die Sorgfaltsverpflichtung gefördert. Das Bewusstsein trage dazu bei, dass die Zivilgesellschaft in den Entwicklungsländern gestärkt werde und auch dort konkrete Missstände angeprangert würden. Ihr geht es beim Engagement für die KoVi nicht nur um die „Weltsünden“ sondern auch um die Konsumhaltung und ein Umdenken in der Schweiz: „Welche Wirtschaft, welche Gesellschaft wollen wir? Muss der Vorteil des einen zwangsläufig zum Nachteil der anderen führen?“

„Dritter Weg" und Rolle der NGO’s
Pestalozzi zeigte sich erfreut über die offene Diskussion und äusserte die Hoffnung, dass es einen „dritten Weg“ in Form eines Gegenvorschlags zur Konzernverantwortungsinitiative geben könnte, mit dem die Schweiz zum Ausdruck bringe, dass sie ihren Wohlstand nicht länger „auf dem Nachteil der Anderen“ begründen wolle.
In der Diskussion mit dem Publikum räumte Regierungsrat Walter Schönholzer ein, dass er nicht unbedingt ein "Fan" davon sei, wenn Dinge angeprangert würden, aber es brauche die Nichtregierungsorganisationen NGO, die den Finger aufhalten würden, wenn Unrecht geschehe: „Es gilt die Werte zu verteidigen, die auf Vertrauen bauen“.

 

Mit Musik aus Südamerika umrahmten Juan Carlos Zeta und Roberto Hacaturyan den Anlass. Im Anschluss gab es im Foyer einen Apéro, den die Landfrauen gerichtet haben.

Ernst Ritzi/Brunhilde Bergmann

Der Thurgauer Volkswirtschaftsdirektor Walter Schönholzer befürchtet eine Bürokratie-Lawine.

Verfolgen die Gegenargumente: Mitinitiant der Initiative Florian Wettstein und Jeanne Pestalozzi-Racine.

Wirtschaftsvertreterin Denise Laufer sieht in freiwilliger Mediation das sinnvollere Instrument.

Für Jeanne Pestalozzi-Racine, Stiftungsratspräsidentin von "Brot für alle", ist gesellschaftliches Handeln der Kirchen immer auch politisch.

v. links: Moderatorin Susanne Giger, Denise Laufer und Walter Schönholzer (contra), Jeanne Pestalozzi-Racine und Florian Wettstein (pro)

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