Seelsorge

Vom Dichter Antoine de Saint-Exupéry stammt das Gebet: „Herr, leihe mir ein Stück deines Hirtenmantels, damit ich meine Nächsten mit der Last ihrer Sehnsucht darunter berge.“ Seelsorglich handeln heisst demnach, auf die Sehnsucht horchen, die in jedem Menschen steckt. Aber zugleich ist sich der seelsorgliche Mensch bewusst: nur Gott vermag diese Sehnsucht zu stillen. Deshalb ist er auf das Gebet verwiesen, d. h. er rechnet mit der Gegenwart einer Kraft, die Seelsorger und „Klienten“ bergen, bejahen und befreien will. Seelsorge unterscheidet sich von irgendeiner fachkundlichen Beratung dadurch, dass sie den Menschen im Licht der Liebe Gottes sieht und ernst nimmt.     

Längere Zeit standen sich – aus verständlichen Gründen – Psychotherapie und Seelsorge rivalisierend bis feindlich gegenüber. Heute reift  hüben wie drüben die Erkenntnis heran: Psychotherapie und Seelsorge gehen zwar nicht ineinander auf und sollen nicht vermischt werden. Aber sie gehören im weiteren Sinne zusammen. Beide beschäftigen sich schliesslich mit der Not und dem Unheilsein des Menschen.

Was aber bedeutet Heil- und Ganzwerden? In der Antwort auf diese Frage unterscheiden sich Psychotherapie und Seelsorge. Dass Menschen sich selber annehmen lernen, dass sie wieder gesund und gemeinschaftsfähig werden, dass sie arbeiten und sich des Lebens freuen können, sind wichtige Ziele psychotherapeutischer Arbeit. Natürlich hat auch die seelsorgliche Begleitung diese Ziele im Auge. Aber darüber hinaus ist für sie der Bezug zu Gott ein wesentlicher Faktor für das Heilwerden.
Wenn ein Mensch lernt, sich im Lichte Gottes zu sehen und von dort her zu leben, ist der entscheidende Grund gelegt. Darauf kann all das wachsen und gedeihen, was die Seele lebendig und das Leben sinnvoll macht. Aber auch Misserfolge und Defizite können eher verkraftet und verwandelt werden. Denn die Seele hat ihre Heimat in Gott gefunden. Von dort her werden die gängigen Massstäbe von Glück und Unglück, Erfolg und Misserfolg relativiert. Jesus selber hat den unbedingten Vorrang der Seele betont: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und doch Schaden nähme an seiner Seele? (Matthäus 16.26)

Wer Seelsorge betreibt, muss seine eigene Seele ernst nehmen und mit ihr in Kontakt sein. Es braucht dazu eine (wie auch immer geartete) geistliche oder spirituelle Praxis. Wer einem Menschen helfen will, seiner Seele und durch sie seinem Lebensgrund spürbar näher zu kommen, muss selber täglich aus dem leben, was ihn unendlich übersteigt: die Liebe Gottes.   
Die Psychologie verwendet aus unterschiedlichen Gründen das Wort ‚Seele‘ nicht. Tatsächlich ist sie – genauso wie ‚Gott‘ – keine wissenschaftlich nachzuweisende Grösse. Dennoch macht es Sinn, den Begriff ‚Seele‘ beizubehalten. Gemäss Lexikon ist die Seele „die personale und existentielle Mitte, das innere Verarbeitungszentrum, das aus äusserem Erleben ureigene Erfahrungen werden lässt.“ Fassbarer und einfacher ist ein sprachgeschichtlicher Hinweis: das Wort ‚Seele‘ ist verwandt mit ‚See‘.
So weit, tief und geheimnisvoll wie ein See ist die Seele. Gott ist zwar der ganz Andere. Dennoch offenbart er sich auch in unserer Seele. Deshalb ist entscheidend, was für Gottesbilder wir in uns kultivieren. Seelsorglich umgehen mit sich und andern, heisst auch: den Gottesbildern in uns auf die Spur kommen. Vielleicht kann dieses Gebet dazu anleiten:
Gott, du bist kein Erbsenzähler, kein Rechenkünstler der guten Taten und kein Archivar menschlichen Wohlverhaltens. Du rufst hinein in unsere Wüsten, du hörst auf die Stimme der Verdurstenden. Du freust dich, wenn wir uns von Freude ergreifen lassen. Du bist mit uns, wenn Trauer uns überwältigt. Du lockst uns mit Gesten der Liebe und hoffst auf Widerhall in unserer Seele. Aber du liegst auch hungernd und krank am Wegrand und hältst Ausschau nach unserer Barmherzigkeit. Du bist alles, was zu tun, zu hoffen, zu leben uns Menschen unendlich gut tut.

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